Beim gestrigen Morgenspaziergang
wurde ich angesprochen. Der Mann hieß, wie ich danach erfuhr, Michael
Georgiewitsch. Seine Anrede war eigenartig: „Väterchen, wie ist die Lage? Haben
wir Mariupol schon aufgegeben?“ Da musste ich ihn fragen, wieso er mir diese
Frage stellte. „Ihnen sieht man doch den Militär auf den ersten Blick an.“ Wir machten
uns bekannt und nach Austausch von Meinungen zum aktuellen Geschehen fragte
mich der pensionierte Oberst, warum ich mit dem Hund nicht im Park Alexandrija
spazieren gehe. Meinen Einwand, dass dort Hunde nicht erwünscht sind,
beantwortete er damit, dass er nach meiner Heimat fragte. Ukrainern ist das
Verbot nämlich schnuppe. Als ich erklärte, Deutscher zu sein, fragte er, ob ich
denn überhaupt den bekannten Dendropark schon besucht hätte. Den Beweis
lieferte ich sofort. Denn konnte ich ihm genau beschreiben, wo die Danksäule
für einen deutschen Gartenarchitekten zu seinem 50-sten Dienstjubiläum steht. Er
seinerseits musste eingestehen, dass er diese für eine Art Grabstein gehalten
hätte. Durch meine offenen Augen war ich ihm also überlegen, ohne ihn zu
beleidigen.
Gestern war ich nachmittags bei meiner
Zahnärztin. Sie fragte nach der Begrüßung: „Worüber beschweren sie sich?“ Da
ich keine Beschwerden hatte, wollte sie den Grund meines Besuchs wissen. Ich informierte sie über die Operation an meinem linken Kniegelenk vom Monatsende in Berlin. Sie
als Medizinerin wisse sicher besser als ich, dass zur Vermeidung von Komplikationen
keine Infektionsherde im Körper des Patienten vorhanden sein sollten – auch keine
versteckten. „Sie kenne ich doch schon lange, weil sie ständig rechtzeitig vor
größeren Schäden am Gebiss zu mir kommen. Allerdings hatte ich sie bisher nicht
als so angenehm vorausschauend eingeschätzt.“ Die Durchsicht ergab keine
Probleme. Mit besten Wünschen für die OP wurde ich entlassen. Das freut denn
doch auch.
Auf dem heutigen, etwas verspäteten Morgenspaziergang mit Hund kam
ich heimwärts gehend am Ableger des eigentlichen Marktes vorbei. Auf der recht
breiten Spazierallee am Kreuzweg zum Basar hatten sich „fliegende Händler“
eingefunden. Sie verkaufen Blumen, Obst und Gemüse um einiges preiswerter als
die Nutzer der Marktstände. Denn auf dem Rynok (auch Basar auf Russisch) sind
je Platz gewisse Beträge zu zahlen. Diese Kosten werden wie üblich mit auf den
Kunden abgewälzt – über den Preis. Marktwirtschaft eben. Weil bei einer
Verkäuferin sauber ausgelesene junge, genauer noch saftige Saubohnen für fünf
Hrywna je volles Marmeladenglas angeboten wurden, zahlte ich zwei Hrywna an mit
der Bemerkung, dass ich in 15 Minuten mit dem restlichen Geld für vier Gläser voll
wieder da sein würde.
Als ich nach etwa erst 25 Minuten ankam, war die
fliegende Händlerin ausgeflogen. Einige Plätze weiter saß eine Oma, die ihre
frischen Saubohnen für vier Hrywna das Glas voll anbot. Also zahlte ich 16
Hrywna für die Ware, für welche ich im anderen Fall hätte 18 auf die Hand legen
müssen. Hatte meine Vorkasse eingespielt, dazu noch, wenn auch notgedrungen, rund
400 m Spazierweg zugelegt. Außerdem werde ich heute eine gesunde Delikatesse essen.
So habe ich einen scheinbaren kleinen Verlust ganz einfach durch eine andere
Sicht auf das gesamte Geschehene in ein positives Gefühl wandeln können.
Mit den
drei hier geschilderten Vorgängen habe ich erneut etwas vom Verhalten realisiert, zu dem
mir ein Freund vor kurzem einen Artikel schickte: „Ein Grund für die Langlebigkeit vieler
Japaner“. Meine Übersetzung ins Deutsche werde ich hier veröffentlichen, wenn
sie fertig ist.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen