Die besonders
ansehnliche und gebildete Moderatorin einer für mich sehr sehenswerten ukrainischen
Fernsehsendung bat letztens ihren Gast, einen grusinischen (georgischen)
Künstler vor dem Abspann, zum servierten Glas Rotwein einen Trinkspruch auszubringen.
Nach einigem Nachdenken meinte er: „Lasse uns auf den Frieden trinken. Nicht im
Sinne der Beendigung des Waffengangs im Osten, sondern so, wie er häufig als
dritter Tost in meiner Heimat modifiziert ausgebracht wird – auf den
Seelenfrieden. Dass wir ihn persönlich anstreben und erreichen, damit wir in unserer
Familie, mit den Freunden und mit allen Menschen unserer Umgebung in Harmonie
zufrieden leben können.“
Dieser Trinkspruch hat mich beeindruckt. Vor allem,
als ich nach einer Viertelstunde auf einem anderen Kanal wie vorgesehen den
Film zum Atombombenabwurf auf Hiroshima sah. Zu diesem schreibe ich aber unter http://mein-ostblock.blogspot.com/
einen anderen Post. Denn ich erinnerte mich an einen Vorgang, den ich im obigen
Zusammenhang nicht verschweigen sollte.
An dem Abend, da ich den oben zitierten
Trinkspruch hörte, hatte ich mit meinem Stiefsohn eine kleine
Auseinandersetzung. Er ist Koch von Beruf und hat einen extrem ausgeprägten Geruchssinn.
Nicht zum ersten Mal kam er von Arbeit relativ spät heim und sagte nach dem
Gruß sofort und laut: „Wonach stinkt das denn hier?“ Da seine immer ihn zu verteidigen
bereite Mama nicht, sondern nur seine Verlobte anwesend war, hakte ich nach. Ich
fände es beleidigend für alle Anwesenden, wenn er auf so grobe Art ihn
beunruhigende Gerüche bezeichnete. Immerhin müssten danach wir uns die Jacke
anziehen, für „Gestank“ verantwortlich zu sein. Er verteidigte sich mit seine „Kochnase“.
Mein Argument, er könne doch auch fragen: „Was wurde denn hier gekocht?“ oder
ähnliches, das nicht so beleidigend wäre, nahm er etwas murrend zur Kenntnis. Seine
Verlobte schwieg diplomatisch. Ob sie mit ihm später über die Angelegenheit
gesprochen hat, weiß ich nicht.
Als ich am Folgemorgen mit dem Hund zum Spaziergang
aufbrach, war Pascha schon munter. Was ich nicht wusste – er musste etwas
früher auf Arbeit in Kiew sein. Wir trödelten wie gewohnt mit Hund Kai ein wenig
– er musste viele Grashalme beschnuppern. Hinter mir ertönten rasche Schritte. Wie
üblich drehte ich mich nach denen nicht um. Aber da strich mir jemand sanft mit
der Hand von hinten über meine Igelfrisur. Ein Blick zur Seite – das war
Pascha.
Er hat unter bestimmten Umständen trotz seiner schon 37 Jahre die
Angewohnheit, diese bei anderen ganz unübliche männliche Zärtlichkeit an mich
zu verschenken. „Ich fahre!“ sagte er nur. Begriffen hatte ich schon vor seinen
Worten, dass wir beide wieder klar mit einander waren, unseren Seelenfrieden
erreicht hatten. Auf dem Spaziergang konnte ich mehrfach lächeln – die Streicheleinheit
tat das ihre dazu.
Meine auch ohne diese Begebenheit wache Aufmerksamkeit
bemerkte etwas in dieser Gegend nicht besonders häufiges. Als wir am Eingang
zum Armeelazarett vorbeiliefen, auf dessen Territorium eine kleine Kirche sichtbar ist, kam uns ein Mann entgegen, der sich sehr
verstohlen bekreuzigte. Sehr offen hatte ich diese Art Ehrerweisung in der
Westukraine gesehen, wenn sogar die meisten Fahrgäste von Autobussen bei
Passieren von Kirchen oder Kapellen ein Kreuz schlugen. Also ordnete ich die Geste
des einzelnen Gläubigen auch nach dem grusinischen Trinkspruch ein. Sie hat
seinen Seelenfrieden bestärkt.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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